Mein innerer Abwägungsprozess zum LNG-Beschleunigungsgesetz

Liebe bündnisgrüne Mitglieder, sehr geehrte Interessierte,

ich möchte noch einmal darlegen, warum ich für das LNG-Beschleunigungsgesetz im Bundestag und somit für das LNG-Terminal in Mukran gestimmt habe. Dieser Entscheidungsfindungsprozess war für mich sehr schwierig und gerade daher ist es mir ein Anliegen euch und Sie durch meine Überlegungen zu führen.

Den Ausführungen möchte ich voranstellen, dass ich dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) darin folge, dass eine Gasmangellage in Deutschland zu verhindern ist. Diese zöge nur schwer kalkulierbare wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Risiken mit sich. Das ist der Ausgangspunkt meiner Überlegungen.

Ich habe meine Argumente im Wesentlichen auf die Analysen der Bundesnetzagentur und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gefußt, da sie die profundeste Datenlage haben. Die Prognosen der Bundesnetzagentur haben eine Möglichkeit einer Gasmangellage als möglich erachtet, wenn:

  • Ein sehr kalter Winter in Deutschland herrscht
  • Die Bevölkerung weniger einspart
  • Kein Gasimport über die Ukraine in die EU erfolgt

Die Bundesnetzagentur hat nicht das Risiko von Zwischenfällen/Ausfällen an den europäischen Pipelines wie bspw. Europipe (Norwegen-Deutschland) oder BalticPipe (Norwegen-Polen), an innerdeutschen Pipelines oder LNG-Terminals mit in ihre Risikoanalyse aufgenommen. Dieses Risiko kommt für mich nach den Sprengungen an Nord Stream I und Nord Stream II sowie dem, momentan noch nicht endgültig aufgeklärtem, Zwischenfall an der Pipeline Balticconnector noch hinzu.

Sechs Arten von Argumenten habe ich abgewogen. Diese haben folgende Reihenfolge: 1 und 2 Notwendigkeit des Bedarfs für das Sicherstellen der Versorgungssicherheit; 3 und 4 standortbezogene Argumente; 5 und 6 Folgen für die Umwelt und fürs Klima.

  • Ausgelastete Leitungen Transportnetz zwischen Ost- und Westdeutschland
    • Hintergrund: Die Gasversorgung Deutschlands war stark auf den Import von Erdgas aus Russland über Ostdeutschland ausgerichtet. Mit dem Wegfall der Lieferungen aus Russland importiert Deutschland Erdgas vor allem über Häfen und Pipelines an der Nordseeküste. Die Durchleitungskapazitäten von West- nach Ostdeutschland sind begrenzt und werden derzeit auf hohem Auslastungsniveau genutzt.
    • Die Leitungsrichtung können auch nicht einfach ohne bauliche Maßnahmen umgekehrt werden. Momentan ist noch die Hauptrichtung der meisten Leitungen von Ost- nach West. Das BMWK plant und baut auch schon Verdichter, um das Netz umzustellen.
    • Gleichzeitig besteht ab Lubmin eine sehr große Pipeline nach Ost- und Süddeutschland, sowie nach Osteuropa, da dort bis Sommer 2022 die Gaslieferungen von Nord Stream I angekommen sind. Diese bestehende Pipeline soll daher für die Versorgung genutzt werden.

  • Anschlags- und Zwischenfallszenarien auf Gasinfrastruktur
    • Es gibt in Europa nach einer langen Phase der Entspannung mit der Russischen Föderation nun wieder einen staatlichen Akteur, der zielgerichtet gegen die Mitgliedstaaten und die Gesellschaft der Europäischen Union vorgeht. Leider ist daher und im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nicht gänzlich auszuschließen, dass es auch zu Sabotageakten an kritischer Infrastruktur hierzulande oder anderswo in der EU geben könnte.
    • Das hatte für mich zur Folge, dass die Wichtigkeit von Redundanzen auch im Energieversorgungssystem für mich zugenommen hat.
       
  • Standortsuche und Veränderungen an der Planung
    • Das BMWK hat es sich nicht leicht gemacht mit seiner Standortwahl. Optionen, die soweit ich informiert bin, diskutiert wurden, waren Lubmin, Sellin, Rostock, Mukran oder eine Offshore-VarianteÜber den Hafen Rostock wird die Ölraffinerie PCK in Schwedt mit Öl beliefert. Diese Belieferung ist nach dem Ende des Bezugs von russischem Öl unverzichtbar für die Treibstoffversorgung Ostdeutschlands geworden. Nach eingehender Prüfung hat sich herausgestellt, dass eine parallele Anlandung von Flüssiggas und Rohöl im Hafen Rostock aus nautischen sowie aus Gründen der Risikovorsorge nicht möglich ist (Quelle: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/F/faqs-lng-terminal-mukran.pdf?__blob=publicationFile&v=4 )Wegen der dauerhaften Lage der in Frage kommenden Offshore Standorte vor Rügen in unmittelbarer Nähe von Fauna-Flora-Habitatrichtlinie-Gebieten (FFH-Gebiete) und Vogelschutzgebieten und mögliche Beeinträchtigungen des Schiffsverkehrs auf der Ostsee bestehen umwelt-, sicherheits-, und genehmigungsrechtliche Realisierungsschwierigkeiten. Zudem hat sich gezeigt, dass die technischen Herausforderungen und Risiken für den Bau und den Betrieb auf offener See deutlich höher sind als im Hafen. Auch die zuverlässige dauerhafte Einspeisung von Gas und damit die Energieversorgung an sich, wäre bei einem Standort vor der Küste, nicht immer gewährleistet. (Quelle: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/F/faqs-lng-terminal-mukran.pdf?__blob=publicationFile&v=4 )Der momentane Standort von ReGas in Lubmin ist auch mit Nachteilen behaftet. Die Wassertiefe ist nicht tief genug für eine SFRU, weswegen es Tenderverkehr durch den Greifswalder Bodden gibt. Dieser hat mehr Auswirkungen auf die Flora und Fauna als eine Pipeline durch den Bodden.Kurzzeitig war auch Sellin als Standort im Gespräch. Nach Protesten auf Rügen nahm das BMWK wieder Abstand davon. Hier wären die Auswirkungen auf den örtlichen Tourismus zu groß gewesen.
    • Daher fiel die Entscheidung des BMWK auf den Industriehafen Mukran. Unmittelbar ist der Tourismus vergleichsweise gering vor Ort ausgeprägt. Außerdem hat das BMWK seine Pläne noch verändert, um auf den Protest auf der Insel zu reagieren. Die Novelle des LNG-Beschleunigungsgesetzes beinhaltet eine Begrenzung auf bis zu zwei FSRUs am Standort Mukran. Ursprünglich sollten es bis zu vier sein. Außerdem ist es geplant, diese so zu legen, dass die Sicht,- Umwelt- und Lärmbeeinträchtigung minimiert wird.

  • Zukunftsmöglichkeiten durch den Standort
    • Die Umstellung der deutschen Industrie auf Wasserstoff wird kommen. MV hat gute Voraussetzungen, dass hier, dank der Offshore-Windanlagen, produziert wird. Das Terminal soll umgerüstet werden können auf den Import von Ammoniak. Dieser würde dann vor Ort mit dem Strom aus der Offshore-Windenergie in grünen Wasserstoff umgewandelt werden.
    • Aktualisiert: Wenn man sich die am 14.11. veröffentlichten Planungen für das Wasserstoff-Kernnetz anschaut, sieht man, dass Mukran angebunden werden soll. Das wäre nicht geschehen, wenn dort kein Terminal gebaut wird, was langfristig auf Wasserstoff umgerüstet werden kann. Das Terminal in Mukran ist somit eine sehr begünstigende Vorentscheidung für das Entstehen einer Wasserstoffindustrie in MV.

  • Negative Umweltaspekte
    Klar ist jedoch auch, dass es der Flora und Faune in der Umgebung würde besser gehen würde, wenn es das Terminal nicht geben würde.
    • In Mukran besteht bereits ein kleinerer Industriehafen. Dieser Hafen wird jetzt ertüchtigt, um dort ein schwimmendes LNG-Terminal (FSRU) andocken zu können, dazu wird u.a. die Hafenrinne ausgebaggert. Der größte Eingriff ist die Verlegung der Anschlusspipeline von Mukran nach Lubmin, rund um Rügen. Um den Heringslaich im Greifswalder Bodden nicht zu gefährden, soll die Pipeline bis Ende Dezember 2023 verlegt sein.
    • Der Standort Mukran hat ggü. dem bisher vorgesehenen Standort Lubmin ökologische Vorteile, da der ökologisch sensible Greifswalder Bodden weniger von Schiffen befahren wird (bisher Shuttelmodell im Bodden) und weniger Licht- und Lärmemissionen für Vögel und Fische zu erwarten sind.

  • Klimaaspekte
    LNG ist ebenso klimaschädlich wie Erdgas.
    • Durch den Wegfall der Gaslieferungen aus Russland hat Deutschland aktuell tatsächlich einen Bedarf an neuen Gasimporthäfen. In den nächsten 1-2 Jahren helfen die schwimmenden LNG-Terminals daher sehr gut, die Gasversorgung Deutschlands sicherzustellen.
    • Es gibt jedoch erhebliche Bedenken, dass fossile Überkapazitäten entstehen. In den nächsten Jahren in Richtung 2030 wollen und müssen wir den Erdgasverbrauch erheblich reduzieren, um unsere Klimaziele einhalten zu können. Das gilt auch für andere europäische Länder. Gleichzeitig werden die festen LNG-Terminals mit größeren Kapazitäten ab ca. 2026 in Betrieb gehen. Weniger Importe treffen also auf mehr Hafenkapazitäten.
    • Wir haben daher in den parlamentarischen Verhandlungen durchgesetzt, dass die schwimmenden Terminals spätestens 6 Monate nach Betriebsaufnahme der festen Terminals (Brunsbüttel, Stade, Wilhelmshaven) abgezogen werden müssen. Durch diese gesetzliche Regelung reduzieren wir die Überkapazitäten deutlich.
    • Die Hafenkapazitäten über den jährlichen Importbedarf hinaus stellen auch eine Versicherung für den jährlich aufgrund des Wetters schwankenden Bedarf dar und zum anderen eine Absicherung für den möglichen Ausfall von einem anderen Lieferweg (Ausfall einer Pipeline aufgrund von technischem Defekt oder Anschlag, wie bei NordStream1). Eine solche Ausfallplanung (n -1) ist bei Energiesystemen, z.B. auch im Stromsystem, grundsätzlich üblich und notwendig, um die Versorgung auch dann sicherstellen zu können, wenn ein wichtiger Energieproduzent ausfällt. Das Gesetz legt fest, dass die festen Terminals bereits heute so gebaut werden müssen, dass sie später einfach für die Nutzung mit klimaneutralem Ammoniak umgebaut werden können.
    • Die Terminals dürfen bis Ende 2043 mit LNG genutzt werden. Danach dürfen sie nur noch mit klimaneutralem Ammoniak oder anderen klimaneutralen Wasserstoffen betrieben werden.
    • Tatsächlich finden wir Bündnisgrüne den Betrieb der festen LNG-Terminals mit Erdgas bis 2043 aus Klimaschutzgründen deutlich zu lang. Wir haben uns in den Verhandlungen sehr dafür eingesetzt, dass die LNG-Terminals deutlich früher auf klimaneutralen Ammoniak umstellen müssen.
    • Zum einen benötigen wir in einer klimaneutralen Zukunft mehr klimaneutralen Ammoniak und andere Wasserstoffderivate für die wir Importhäfen benötigen (beides steht allerdings derzeit noch nicht zur Verfügung), zum anderen werden wir 2040 viel weniger (ca. 75 – 80% weniger) Erdgas brauchen, es ist also unklar, ob dann überhaupt noch Erdgas über die Terminals importiert wird. Daher wäre eine frühere Umstellung sinnvoll.


Mit bündnisgrünen Grüßen
Claudia Müller